Das Völkerschlacht-Wetter 1813

Napoleons Russlandfeldzug 1812

Das Jahr ohne Sommer

Schnee im Libanon

Der miserable Sommer 1980

Der extreme Januar 1709

Da auf unabsehbare Zeit hierzulande keinerlei richtiges Winterwetter mit Schnee und Kälte in Sicht ist, hier mal ein kleiner Rückblick - auf den Winter 1708/09. Dieser außergewöhnlich harte Winter wurde ja schon mehrfach thematisiert. Eine wirklich ausführliche Darstellung war aber noch nicht zu lesen, und ich will hier und jetzt auch keine geben, denn: Es gibt sie schon! Der DWD zeichnet dafür verantwortlich, auch wenn es schon mehr als 40 Jahre her ist. 1964 erschien im Selbstverlag des DWD folgendes Werk:

Berichte des Deutschen Wetterdienstes, Nr. 92 (1964)
"Untersuchung der ältesten Temperaturmessungen mit Hilfe des strengen Winters 1708 - 1709"
Autor: Walter Lenke (mit 13 Abbildungen im Text und 7 Tabellen im Anhang)

Das Werk hat zwar nur 45 Seiten + die Tabellen im Anhang, aber diese DIN-A4-Seiten sind ziemlich eng zweispaltig bedruckt. Jedenfalls findet sich hier alles, was man sich wünscht: Zuerst eine ausführliche Diskussion der damals an den einzelnen Meßstellen in Gebrauch befindlichen Thermometer, dann Schilderung der Methode, wie man aus diesen Angaben und Berücksichtigung zahlreicher systematischer Fehler trotzdem halbwegs verläßliche Umrechnungen auf das heute übliche Temperaturmaß (Celsius) durchführen kann; anschließend die tagesgenaue Schilderung des (europ.) Witterungsverlaufs des Winters 1708/09 und abschließend ein Vergleich mit den kalten Wintern der Neuzeit (d.i. 1928/29, 1941/42 und 1962/63). Und im Tabellenanhang kann man dann alle 1964 bekannten europ. Tagesmeßwerte der Temperatur finden, inklusive allgemeiner Witterungsangaben ("heute stark geschneit" usw.).

Aber Vorsicht: Wer nicht des Lateinischen, (Alt-)Französischen und (Alt-)Niederländischen mächtig ist, wird phasenweise Verständnisschwierigkeiten haben, denn der Autor zitiert aus alten Chroniken oft und ausführlich, immer im Originaltext und nie mit zusätzlicher Übersetzung!! Trotzdem, das Interessanteste, was ich seit langem (das Klima betreffend) gelesen habe! Leider Gottes kann man diesen Band nicht mehr beim DWD bestellen, so jedenfalls der aktuelle Stand. Ein Glück, dass es noch Bibliotheken gibt (die sich aber mittlerweile ja viele Bücher wegen Geldmangels nicht mehr zulegen können - erst in einigen Jahrzehnten wird man dann merken, was man Schlimmes damit angerichtet hat!).

Sicherlich ist Lenkes Buch nicht der letzte Stand der Dinge; so diskutiert z.B. C. Pfister in seinem Buch "Wetternachhersage" auch diesen Winter, zwar nur auf einer Seite, aber mit neuen zusätzlichen Temperaturwerten aus Frankreich. Natürlich zitiert er auch aus Lenkes Werk - und interessanterweise findet man auch ganz schnell einen markanten Widerspruch zwischen beiden Darstellungen: So schreibt Lenke, dass der Bodensee großteils zugefroren gewesen sei in jenem Winter, während Pfister sagt, dass keine einzige Quelle von einem Zufrieren des Bodensees berichtet hätte! Da muß man wohl als neugieriger Leser wirklich zu den Originalquellen greifen, um zu sehen, wer von beiden jetzt irrt ...

Trotzdem: Mehr als 40 Jahre nach seiner letzten ausführlichen Darstellung (zumindest im deutschen Sprachraum) würde dieser außergewöhnliche Winter endlich mal wieder eine neue umfassende Behandlung verdienen! Zumal ja in der Zwischenzeit ein Analogfall aufgetreten ist: Vom ganzen Wetterablauf her (erste gemäßigte Kältewelle im Dezember, gigantische Kaltluftwalze im Januar, dritte strenge Kältewelle Mitte Februar und viele weitere Details) ähnelt 1708/09 dem Winter 1978/79, natürlich vor allem was die Kaltluftwalze betrifft! Allerdings hatte der Januar 1709 dann die doch tieferen Temperaturen im Gepäck, in Berlin immerhin mutmaßlich ein Tmin von -30° in der Nacht zum 10. Januar 1709! Außerdem erfolgte der Kaltluftvorstoß 1709 von NO nach SW in Europa, dabei die gesamte iberische Halbinsel erfassend, während 1979 die Kaltluftwalze Spanien und Portugal weitgehend verschonte, dafür aber sich mehr direkt nach Süden orientierte und bis nach Sizilien vordrang.

Die Berichte vom Winter 1708/09 sind zahlreich und liegen aus vielen Ländern Europas vor, so dass sich ganz gut die Ausdehnung der arktischen Kaltluft abschätzen läßt. So wird z.B. aus Großbritannien berichtet, dass bei einer Reise von Schottland in den Süden des Landes die Kälte stark zunahm (!), ebenso die Schneehöhe. Gleichzeitig aber wird in Konstantinopel recht mildes Wetter beobachtet. Aus Portugal und Spanien wird hingegen wieder von strengem Frostwetter berichtet und die Adria bei Venedig soll zugefroren sein. Ich habe mal im WZ-Archiv die Reanalysiskarten der harten Winter seit 1950 durchgesehen, um einen zu finden, der eine ähnliche geographische Ausdehnung wie der von 1709 aufzuweisen hat, und bin tatsächlich fündig geworden: Der Februar 1956 dürfte ihm wohl nahe kommen, man vergleiche:

Wie für 1709 geschildert findet man auch im Februar 1956: über Großbritannien eine kräftige Zunahme der Temperatur von Süd nach Nord, einen weiten starken Vorstoß der Kaltluft nach SW, bis nach Marokko hinein, tiefe Temperaturen im Bereich der nördlichen Adria, aber deutlich mildere in der Ägäis - und, ganz wesentlich, extreme Kälte über Mitteleuropa! (Seltsamerweise hat Lenke gerade diesen Februar 1956 in seinem Werk nicht diskutiert.) Anfang März 1971 findet sich eine ähnliche Situation, wobei allerdings der Vorstoß der Kaltluft nach Spanien hinein nicht so extrem wie 1956 ausgefallen ist:

Um Mißverständnisse zu vermeiden: weder der Februar 1956 noch der März 1971 sind vom eigentlichen Wetterablauf dem Winter 1708/09 ähnlich, es ging hier nur um die räumliche Ausdehnung.

Wie extrem von den Temperaturen dieser Januar 1709 ausgefallen ist, will ich am Beispiel Portugals zeigen. In der CLIMDAT - Datenbank findet sich folgendes Zitat aus jenem Winter:

Es hat dieser harte Winter in gantz Europa unsäglichen Schaden gethan, viel hundert Menschen sind hier und dar, auch so gar in Frankreich erfrohren, andere haben Nasen, Ohren, Hände und Füsse eingebüsset; das Wild in den Wäldern, die Vögel in der Lufft, die Fische im Wasser, fast durchgehends die Oel- Pomerantzen- und Citronen-Bäume und Weinstöcke, an andern Orten die Obst-Bäume sind erfrohren, ja so gar viel wilde Bäume in den Wäldern, welche von der grossen Kälte aufgesprungen und verdorben sind. Nicht allein der Sund, sondern auch der Costnitzer- und Zürcher See, ja so gar alle Canäle zu Venedig und der Ausfluß des Tagus zu Lissabon war mit harten Eyß belegt; worauff nachgehends beym Aufthauen grosse Wasser erfolgten und viel Schade geschahe. (Dreyhaupt, S. 623)

Hier interessiert vor allem der letzte Satz: der Tagus, das ist der Tejo, sei im Mündungsbereich fest zugefroren. Die Tejomündung ist eine der größten Europas, mit einer großen, allerdings recht flachen Bucht (ca. 320 km²) und starkem Gezeiteneinfluß mit einem Tidenhub zwischen 1 und 4 m; d.h. es liegt hier eine Mischung aus Meer- und Süßwasser vor, was bekanntlich das Zufrieren nicht gerade erleichtert ... Ich selbst war im letzten Oktober für 9 Tage in Portugal, bei herrlichem Wetter und Temperaturen zwischen 25 und 30°. Überall wuchsen schöne, hohe Palmen - und im Gegensatz zu den Kübelpalmen, die in Freiburg immer im Frühjahr in der Innenstadt touristengerecht aufgestellt werden, um etwas "südländischen" Flair zu verströmen, werden jene in Portugal im Oktober/November eben nicht ins Lager weggeräumt - die bleiben einfach stehen! Dies sagt schon viel darüber aus, was man in der Gegend so an Tiefsttemperaturen zu erwarten hat. Aus dem ECA - Temperaturdatensätzen der Jahre 1901 - 1999 (Tagesdaten) habe ich die in diesen 100 Jahren aufgetretenen täglichen absoluten Tmax und Tmin-Werte herausgesucht; nachfolgendes Bild zeigt die Extremwerte für jeden Tag des Jahres:

Hier interessiert vor allem die blaue Kurve, also die Werte der tiefsten zwischen 1901 und 1999 aufgetretenen Temperaturen jeden Tages: die tiefsten Werte liegen lediglich um -1° C! D.h. egal ob Februar 1929, Januar 1942 oder Februar 1956 - nie war es kälter als -1° in Lissabon. Tatsächlich fiel an genau drei Tagen das Thermometer unter 0°, und zwar waren dies:

 1954,  5. 2.    -0.9° C
 1956, 11. 2.    -0.8° C
 1956, 12. 2.    -0.8° C

Bei solchen Temperaturen friert kein Glas Wasser zu, geschweige denn die Mündung des Tejo! Es müssen im Januar 1709 somit über mehrere Tage hinweg wirklich tiefe Temperaturen aufgetreten sein, in einem Bereich, der weit jenseits der Bandbreite der (mindestens) letzten 100 Jahre liegt. Den Berichten nach muß dies zwischen dem 8. Januar 1709, dem Eintreffen der Kaltluftwalze in Portugal, und dem 19. Januar passiert sein (Datum der ersten Berichte von dort). Es bietet sich an, solche vergleichenden Untersuchungen, wie ich sie hier gerade für Lissabon vorgeführt habe, noch für viele weitere Städte bzw. Regionen Europas, aus denen auch Berichte aus 1709 vorliegen, durchzuführen, um eine bessere Einschätzung der Strenge jenes Extremwinters zu erhalten. Gestartet ist diese Kaltluftwalze übrigens am 5. Januar abends in Deutschland: Berlin verzeichnete eine erhebliche Frostverschärfung (die alte Kaltluft der vorhergehenden Kältewelle war dort nie völlig ausgeräumt worden) und weiter südlich bzw. westlich in Deutschland ging der heftige Regen sehr schnell in starken Schneefall über - viele weitere Details, wie oben schon gesagt, kann man bei Lenke nachlesen.

Als 1979 die "Schneefront" über Deutschland hinweggezogen war, schätzten Meteorologen, dass solch ein Ereignis sich nur alle 50 Jahre wiederholen würde. Sechs Wochen später aber war es dann, jedenfalls in Norddeutschland, wieder soweit, als Mitte Februar die zweite Schneefront einbrach. Dieser jedoch fehlte die Durchschlagskraft nach Süden, sie blieb über der Mitte Deutschlands stehen und orientierte sich dafür mehr nach Großbritannien hin. Solche "Doppelschläge" der Kaltluft sind in den "großen" Wintern offensichtlich recht häufig, siehe 1709, wo Mitte Februar nochmals große Kälte einzog (und dann nochmals im März, jener Winter hatte sich echt "verbissen" und wollte nicht loslassen), siehe 1985 und eben 1979. Aber in der Neujahrsnacht 1979 betrug der 24-h-Temperatursturz in weiten Teilen Deutschlands 25 und mehr Grad, ein Wert, den ich bei meiner Suche in den längsten Tagesreihen West- und Mitteleuropas nie übertroffen, ja noch nicht einmal annähernd erreicht fand, zurückgehend bis ca. 1750. Aber 1709 hatte ebenso große, wenn nicht gar noch höhere, Temperaturstürze zu bieten. D.h. innerhalb von rund 300 Jahren ist solch eine extreme Kaltluftwalze über West- und Mitteleuropa ganze zweimal aufgetreten. Die geschätzten 50 Jahre wären somit viel zu niedrig gegriffen, rein statistisch gesehen dürfte wohl keiner der WZ-Forumianer zu seinen Lebzeiten solch ein Ereignis (nochmals) erleben! Ein Glück, dass ich dank "Gnade der frühen Geburt" das letztemal noch voll miterleben durfte! Für alle zu spät Geborenen: Sorry, Pech gehabt ... :-)

Zum Abschluß noch ein sehr schöner zeitgenössischer Bericht aus jenem Winter 1709, wieder der CLIMDAT - Datenbank (ist online frei einsehbar, man google mal nach CLIMDAT) entnommen:

Anno 1709. den 6. Januarii, vor Mitternacht, hatte es noch starck geregnet, dergleichen nasses und feuchtes Wetter auch vorher im Dezember gewesen: Nach Mitternacht aber ist eine so grimmige Kälte jähling eingefallen, daß der Mayn den 11. dieses zugefrohren. Die Kälte war so groß, als sie bey Mannes-Gedencken nicht gewesen. Von einem Mathematico, Namens Muth, ist an verschiedenen curiösen Wetter-Machinen allhier beobachtet worden, daß die Barometra im Januario ohne Aufhören sich erhoben so, daß auf einem Sonntag morgens selbige biß auf 5. Grad, so noch in der gantzen Dimension restiren, aufgestiegen waren, sie liessen auch nicht nach, bis daß nur noch ein eintziger Grad von der gantzen Aenderungs-Scala übrig war. Die Thermometra aber fielen mit solcher Heftigkeit herunter, daß sie um den 12. Jan. im 24. Grad der Tieffe stunden. Zwischen den 12. und 15. Jan. aber waren sie bis auf den 21. Grad fortgerückt. Jn hiesigen Kirchen wurde ein besonder Gebeth wegen dieser grimmigen Kält angeordnet. Und dieser Winter wird noch heutiges Tages secundum excellentiam der kalte Winter genennet. (Stock, S. 64)

"Curiöse Wetter-Machinen" - wie wahr :-)


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